Rede anlässlich der Regierungserklärung zur Tagung des Europäischen Rates am 09. März 2017 und zum Vorbereitungstreffen der 27 Staats- und Regierungschef zum Jubiläumsgipfel am 25. März
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! In wenigen Tagen feiert Europa den 60. Jahrestag der Römischen Verträge. Ein Traum der Vordenker eines geeinten Europas ist Wirklichkeit vieler, aber nicht aller geworden. Frieden und Wohlstand waren die Versprechen, die mit der Gründung der späteren Europäischen Union gemacht wurden.
Beim Frühjahrsgipfel stehen wie immer die Themen Wachstum und Beschäftigung auf der Tagesordnung. Ich wünschte mir, die Staats- und Regierungschefs hätten mehr Zeit und auch mehr Willen, sich intensiver mit diesen Themen zu beschäftigen. Es geht darum, Wohlstand für alle zu schaffen und zu sichern. Ich appelliere an die Bundesregierung, dafür Sorge zu tragen, dass es zu einer hinreichenden Beschäftigung mit diesen Themen kommt.
Noch immer haben wir ein sehr ungleiches Wachstum in der Union. In einer Reihe von Mitgliedstaaten gibt es zu viele Arbeitslose – insbesondere junge Menschen leiden unter der Arbeitslosigkeit -, und wir haben noch immer große Ungleichheiten bei den Beschäftigungsbedingungen und bei den Lebensstandards. Offene Märkte, liebe Kolleginnen und Kollegen, dürfen nicht nur der Wirtschaft nutzen, sie müssen auch den Menschen dienen.
So sollen alle Menschen in Europa am steigenden Wohlstand teilhaben; denn nur so gibt es für die Bürgerinnen und Bürger einen europäischen Mehrwert. Das heißt für mich: Nur ein soziales Europa wird den Zusammenhalt der Bevölkerung, den wirklichen Willen zu einer Einheit Europas, aber auch den Zusammenhalt der Mitgliedstaaten stärken. Nur dann gelingt es, die Interessen der Menschen und der Märkte endlich zusammenzubringen.
Die wichtigen Themen Wachstum und Beschäftigung, aber auch weitere wichtige Themen wie Migration, äußere Sicherheit und Verteidigung werden allerdings in einem schmalen Zeitkorsett, an nur einem Tag, behandelt; denn einmal mehr ist die Union im Krisenmodus. Am zweiten Tag des Gipfels beschäftigt man sich mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der europäischen Familie. Eng damit verbunden – das ist zwingend und notwendig – ist die Diskussion über die Zukunft der EU der 27.
Ich danke Jean-Claude Juncker und der EU-Kommission, dass sie für die Diskussion das Weißbuch zur Zukunft Europas vorgelegt haben. Vorschläge über die Zukunft der Union gab es ja hinreichend und schon länger, so zum Beispiel im Fünf-Präsidenten-Bericht, der konkrete Vorschläge und konkrete Zeitpläne für die Weiterentwicklung enthält, zum Beispiel zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion. In vielen Mitgliedstaaten gab es darüber aber kaum politische Diskussionen, noch weniger gab es die Bereitschaft zu weiteren Schritten zur Vertiefung. Lieber agiert man weiter im Krisenmodus; man wartet ab, sitzt häufig genug Probleme aus. Ich denke, es ist angesichts der globalen Veränderungen, angesichts diverser Themen, die dringend einer Lösung bedürfen, und angesichts eines sich verbreitenden Rechtspopulismus und nationaler Egoismen an der Zeit, sich endlich klar zum europäischen Geist zu bekennen und nicht unterschiedliche Geschwindigkeiten zu fahren. Es geht nicht um weniger Europa, sondern darum, mehr Europa zu wagen, und zwar im Sinne der Menschen in Europa.
Herr Juncker zeigt den Mitgliedstaaten in seinem Weißbuch fünf Szenarien und damit ihre Wahlmöglichkeiten auf. Wir als SPD-Fraktion sprechen uns klar für eine Weiterentwicklung der Europäischen Union in Gänze aus, für eine Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion. Die Union darf sich eben nicht auf den Binnenmarkt und die Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen reduzieren. Diesem Szenarium erteilen wir eine ganz klare Absage. So, wie wir die vier Grundfreiheiten bei den Austrittsverhandlungen gegen die Briten verteidigen, verteidigen wir sie für die zukünftig verbleibende EU der 27. Wir wollen hin zu einer Wirtschafts- und Währungsunion mit echtem gemeinsamem Handeln, zu einem sozialen Europa mit gemeinsamen Sozialstandards statt Sozialdumping, zu mehr Arbeitnehmerrechten auch auf europäischer Ebene. Wir wollen Familien stärken, Teilhabe am Wohlstand sichern und soziale Gerechtigkeit nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa.
Mit meinem Dank für Ihre Aufmerksamkeit will ich noch eines sagen: Die größte Bedrohung für den sozialen Frieden innerhalb Europas ist aus meiner Sicht die Perspektivlosigkeit junger Menschen; denn wer selbst keine Perspektiven mehr hat, wird schwerlich für die zukünftigen Generationen Perspektiven und dauerhaften sozialen Frieden schaffen können.